44 ausgewiesene Milieuschutzgebiete gibt es in Berlin. Dort befinden sich 345.000 Wohnungen, in denen 680.000 Menschen leben.  Das sind etwa 18 % der Berliner Mietwohnungen. 125.000 Hamburger Wohnungen sind in  Milieuschutzgebieten, in München ca. 100.000, weitere in Frankfurt am Main, Köln und Stuttgart. 

Was ist ein Milieuschutzgebiet, welchen Sinn hat es, ein solches festzulegen? Geregelt ist das Ganze im Baugesetzbuch. Nach § 172 ff. können Kommunen für bestimmte Bereiche Erhaltungssatzungen erlassen, um

  • Die städtebauliche Eigenart eines Gebietes zu schützen,
  • Städtebauliche Umstrukturierungen zu unterstützen oder
  • Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung – das Milieu – zu erhalten.

Letzteres, also der Milieuschutz, wird immer mehr zum Gegenstand heftiger Diskussionen, produziert sogar Schlagzeilen. Das eigentliche Ziel des Milieuschutzes ist, Mietsteigerungen zu begrenzen, um die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung zu verhindern. Die konkreten Regeln sind in der jeweiligen „ Sozialen Erhaltungsverordnung“  festgelegt. Ursprünglich ging es dabei um beliebte Szeneviertel, wie z.B. Hamburg-St. Pauli oder Berlin-Kreuzberg. Das ist zunächst nachvollziehbar. Je beliebter ein Wohngebiet ist, desto schneller steigen die Mieten. Das zieht zahlungskräftiges Klientel an. Die neuen Mieter wünschen sich mehr Wohnkomfort – es wird saniert und die Mieten steigen. Das kann zu einer Spirale werden und hier soll der Milieuschutz ansetzen.
Inzwischen ist der Milieuschutz aber zu einem machtvollen Instrument der Wohnungspolitik geworden. Insbesondere in Berlin, aber auch in den anderen o.g. Städten will man damit in immer mehr Quartieren verhindern, dass die alteingesessene Bevölkerung verdrängt wird und greift dabei tief in die Rechte der Eigentümer ein.
Die Instrumente sind ähnlich: Modernisierungen so wenig wie möglich, Aufteilungen am besten gar nicht und im Notfall greift das Vorkaufsrecht.  Trotzdem gibt es bei der Umsetzung regionale Unterschiede. In München drohen die Ämter vergleichsweise schnell mit dem Vorkaufsrecht, wenn Häuser modernisiert oder Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen. In Hamburg lehnen die Behörden die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ab, wenn sich der Eigentümer nicht verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren, die Wohnungen ausschließlich dem Mieter anzubieten.

Brennpunkt Berlin

Den meisten Konfliktstoff gibt es in Berlin: Die Zahl der Milieuschutzgebiete wird immer größer, inzwischen sind es 44 -  in Pankow 13, in Friedrichshain-Kreuzberg 9, in Neukölln 7, in Tempelhof-Schöneberg 6, in Mitte 5, in Treptow-Köpenick 3 und in Lichtenberg 1. Im Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird geprüft, ob und wie die Ausweitung der Fläche der Milieuschutzgebiete von ca. 40 auf 60 Prozent der Fläche des Bezirks möglich ist. Damit ist das Milieuschutzgebiet nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Eigentlich ist es so, dass Maßnahmen, die der Herstellung eines zeitgemäßen Standards einer durchschnittlichen Wohnung dienen, auch in Milieuschutzgebieten die Genehmigung zu erteilen ist. Dazu gehören die erstmalige Herrichtung einer zeitgemäßen Bad- und WC- Ausstattung oder der Ersteinbau einer modernen Heizung. Für darüber hinausgehende Modernisierungen wird die Genehmigung in der Regel nicht erteilt. Das sind z.B. Zweitbäder, Videogegensprechanlagen und ähnliches. Luxussanierungen sollen verhindert werden. In der Praxis ist es aber häufig so, dass Gäste-WCs, Doppelwaschbecken, Balkone, Aufzüge, Einbauküchen, Fußbodenheizungen, beheizbare Handtuchhalter oder die Zusammenlegung von Wohnraum genehmigt werden müssen und oft abgelehnt werden. Das hat mit Luxussanierungen nichts zu tun.  

Besonders brisant ist das Thema Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Das Baugesetz sieht eigentlich vor, dass nur in bestimmten Fällen in Milieuschutzgebieten die Umwandlung genehmigt werden muss. In Berlin ist die Umwandlung aber grundsätzlich genehmigungspflichtig. Das gilt ausdrücklich sowohl für die vertragliche Einräumung von Sonder- und Teileigentum als auch für die erstmalige Teilung in Miteigentumsanteile.

Vorkaufsrecht

Im Berliner Koalitionsvertrag haben sich SPD, Linke und Grüne verpflichtet, dass das Land Berlin verstärkt vom Vorkaufstecht Gebrauch machen soll, bevor ein Investor einsteigt. Wenn sich die Eigentümer nicht verpflichten, auf die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verzichten oder keine (Luxus-) sanierungen durchzuführen, kann der Stadtbezirk in den Kaufvertrag eintreten, in Friedrichshain-Kreuzberg schon mehrfach geschehen. Auf Betreiben des Bezirks hat ein landeseigenes Wohnungsunternehmen für 56,5 Millionen Euro eine große Wohnanlage mitten in Kreuzberg gekauft. Betroffen waren weitere Mietshäuser, insgesamt bis heute ca. 1.000 Wohnungen.  Potenzielle Käufer können das nur umgehen, wenn Sie eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterschreiben. Diese  sind allerdings rechtlich umstritten. Es ist aber nicht bekannt, dass sich ein Eigentümer bisher in seinem Sinne durchgesetzt hat. Bei mindestens 12 Häusern haben sich  Investoren verpflichtet, auf Luxussanierungen zu verzichten oder innerhalb von 7 Jahren nach Begründung des Wohneigentums nur an Mieter zu veräußern.

Der Genehmigungsvorbehalt bei Umwandlungen trat in Berlin 2015 in Kraft, gilt zunächst bis 2020, Verlängerungen sind zulässig. In Hamburg wurde die Umwandlungsverordnung bisher 4 Mal verlängert.  

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass erst in den neunziger Jahren die Berliner Regierungen Tausende Wohnungen privatisiert haben.

Meinungen

Inzwischen gibt es mehr als 15 Jahre Erfahrung mit Milieuschutzgebieten – 15 Jahre Diskussion und Streit um Sinn und Unsinn. Die Befürworter betonen, dass es gelungen sei, in den betreffenden Gebieten vor den Folgen von Immobilienspekulationen, Luxussanierungen und Umwandlungen zu schützen. Aufwendige Basisdaten, zusammengefasst im Sozialstrukturatlas und im Monitoring soziale Stadt sind Grundlage für die Ausweisung der Milieuschutzgebiete und nachträgliche Legitimation.

Die Immobilienwirtschaft sieht das völlig anders. Insbesondere das Umwandlungsverbot verstoße gegen die im Grundgesetz verfassungsrechtlich zugesicherten Eigentumsrechte.  Investoren sprechen von einer „No-Go-Area“ für Modernisierungen. Zumal der tatsächliche Nutzen kaum auszumachen ist. In einem seit längerem bestehenden Milieuschutzgebiet wie dem Helmholzplatz in Prenzlauer Berg gibt es überwiegend einkommensstarke Haushalte. Die Angebotsmieten liegen deutlich über dem Berliner Durchschnitt. Stuttgart-Heslach wurde 1990 mit einer sozialen Erhaltungssatzung belegt und Sanierungen gedeckelt. Nach 10 Jahren hat man festgestellt, dass 25 Prozent der Gebäude stark sanierungsbedürftig waren.   Der IVD sagt “die Bevormundung trägt nicht zum sozialen Zusammenhalt in den Quartieren bei, sondern fördert nur das Denunziantentum. Die ständige Ausweisung neuer Milieuschutzgebiete ist nicht förderlich für den Berliner Wohnungsmarkt. Dringend benötigte Investitionen in die Instandhaltung und den Wohnungsbau bleiben durch diese einseitige Politik aus“, so Jürgen  Michael Schick, Präsident des IVD. Es ist nicht Aufgabe des Staates, Wohnstandards vorzuschreiben. Und weiter  “Wenn Behörden ein Ausstattungsniveau vorschreiben, ist das lebensfremd. Viel besser wäre es kurzfristig, sozial schwachen Familien in solchen Gebieten ein höheres Wohngeld zu zahlen. Langfristig hilft natürlich nur, mehr Wohnungen zu bauen.“

IHK  und der Immobilienverband sehen die Milieuschutzgebiete sehr skeptisch, einzelne Regelungen halten sie sogar für absurd. Insbesondere die Ausweisung immer neuer Milieuschutzgebiete sei nicht förderlich für den Wohnungsmarkt. Die nachhaltige Entwicklung von Stadtquartieren wird so verhindert.  Das Bevormunden von Eigentümern ist kein sinnvolles Instrument der Stadtentwicklung. In der Presse liest man Titelzeilen, wie „In Berlin wird der Wohnraum knapp. Doch wer neu baut, wird bekämpft“ oder „Krieg gegen Investoren“ (beides Süddeutsche Zeitung)
Man kann zusammenfassen: Hätte es schon vor 100 Jahren Milieuschutz gegeben, würden wir heute noch Gemeinschafts-Toiletten im Treppenhaus nutzen. Und die wichtigste Schlussfolgerung. In den Großstädten fehlen zig Tausende Wohnungen. Durch Milieuschutz – übrigens auch nicht durch Mietpreisbremse – entsteht keine einzige.